Mads Mikkelsen - Der coole Schweiger
- Lady Aislinn
- 16. Juni 2024
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 11. Apr.

01.06.2024
Birgit Roschy/epd-film.de
Der Vorname Mads, vor einer Generation gänzlich unbekannt, gehört mittlerweile zu den 50 beliebtesten Namen für neugeborene Jungs. Vielleicht hat das ein bisschen mit der seit Jahren ungebrochenen Beliebtheit von Mads Mikkelsen zu tun. Seit der Schauspieler 2006 seinen internationalen Durchbruch als James-Bond-Schurke Le Chiffre in »CASINO ROYALE« feierte, ist er im familientauglichen Blockbuster-Kino allgegenwärtig. Er ist im Marvel-Universum vertreten – in »DOCTOR STRANGE« als Magier Kaecilius –, im STAR WARS-Prequel »ROGUE ONE« als Schöpfer des Todessterns, in »PHANTASTISCHE TIERWESEN: DUMBLEDORES GEHEIMNISSE« als faschistoider Magier Gellert Grindelwald und im letzten INDIANA JONES-Abenteuer »INDIANA JONES UND DAS RAD DES SCHICKSALS« als Nazi-Wissenschaftler Jürgen Voller. Mehr Popcorn-Kintopp geht nicht.
Doch am schönsten böse ist er in der Serie »HANNIBAL« (2013-2015) als kultivierter Kannibale Hannibal Lecter. Was ist das Geheimnis seiner Anziehung? »Sei dänisch!«, lautet seine selbstironische Antwort auf die Frage, welchen Ratschlag er für zukünftige Schauspieler habe.
Zumindest war das niedliche dänische Lispeln, das sogar in der Originalfassung von »HANNIBAL« zu hören ist, kein Karrierehindernis. Mikkelsen ist die derzeit prominenteste Verkörperung einer Hollywood-Faustregel: »Mit einem lustigen Akzent im Englischen muss man der böse Bube sein.« Doch es gelingt ihm, seine Schurken auch als gebrochene Helden, gefallene Engel darzustellen und das Publikum dazu zu bringen, die Welt aus deren Perspektive zu sehen, sie so weit zu vermenschlichen, dass sie uns in ihren Bann ziehen. Die Strahlkraft dieser Bösewichte beweist, dass Mikkelsen, wie »HANNIBAL«-Vorläufer Anthony Hopkins, sein Repertoire um hochklassige Charakterrollen hätte erweitern können – wäre da nicht dieser ausländische Zungenschlag.
Den Wunsch, Schauspieler zu werden, verspürte er erst Jahre später. Der Zufall bescherte ihm auch seine erste Kinorolle. Winding Refn suchte eigentlich einen Laiendarsteller, wurde aber auf Mikkelsen verwiesen, der gerade die Schauspielschule absolviert hatte und sprachlich jene Straßenköter-Anmutung besaß, die für den Tonny-Part gebraucht wurde. Von der Körperbetontheit seiner manischen Schurkenrollen, etwa in »FLICKERING LIGHTS«, wanderte der Fokus allmählich auf sein Gesicht. Oder eher seine Gesichtslandschaft, die, in adäquater Beleuchtung, mit hohen Wangenknochen, sinnlichem Mund und prüfenden Augen unter halbgeschlossenen Lidern eine eigentümlich hochmütige und statuarische Ausstrahlung hat.
Man sieht Mikkelsen in seinen Filmen kaum je lachen oder theatralisch grimassieren. Es verwundert nicht, dass sein zweites Vorbild nach Bruce Lee Buster Keaton ist, der sich vom Akrobat zum Schauspieler wandelte. Auch Mikkelsen ist als Schauspieler ein Minimalist. Besonders in internationalen Filmen gibt er, der seine Filmkarriere als durchgeknallter Junkie begann, den großen coolen Schweiger, der mit seiner katzenhaft lauernden Präsenz ebenso unheilverkündend wie anziehend wirkt. In Dänemark wurde er von einer Frauenzeitschrift mal zum »Sexiest Man Alive« ernannt. (...)
Anmerkung und Fazit:
Mikkelsen verleiht selbst dem übelsten Schurken mit minimalistischem Ausdruck eine Aura, die dem Zusehen einen Hauch Empathie entlockt. Warum ist er als Hannibal so berühmt geworden, dass er selbst Anthony Hopkins in den Schatten stellt? Steckt in jedem von uns ein kleiner Bösewicht, der manchmal am liebsten seinen bösen Nachbar grillen würde, es aber nicht darf, so wie sich die Neandertaler gegenseitig die Schädel einschlugen, was die heutige Netiquette natürlich verbietet? Wer kochte nicht schon mal vor Wut, wenn ihn der Chef lautstark niedermachte? Die Eltern nicht verstanden? Der Partner nervte? Geht ihr in den Keller schreien oder nehmt ihr Beruhigungstropfen? Wie verarbeitet ihr Stress? Würdet ihr manchmal nicht auch gerne Hackfleisch aus euren Mitmenschen machen? Willkommen im Club der Hannibal-Freunde. Cool, korrekt, beste Manieren, tolles Outfit, aber ein wenig kirre.