Äpfel, Engel & Thomas Mann
- Lady Aislinn
- 11. Juni 2024
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 11. Apr.
Ich meine, Tagebücher, die wir als Kinder geführt haben, sind wunderbare Zeugnisse unserer kindlichen Naivität, Sammelsucht, Geheimniskrämereien und Erinnerungen, unseres Überschwangs, ohne viele Gedanken an die Zukunft.

Leider (?) habe ich alle, aber wirklich ALLE meine Tagebücher, Skripten und Aufzeichnungen schon vor langer Zeit in den Kachelofen gestopft und mühselig verbrannt, weil ich mir einbildete, wenn ich am nächsten Tag stürbe, würde man diese lächerlichen Einträge im besten Fall beschmunzeln und dann zur Seite legen und vergessen.
Sie brannten übrigens ziemlich zäh, als wollten sie nicht für immer zu Asche zerfallen.
Da ich immer noch lebe, als ich dies niederschreibe, wurmt es mich schon ein bisschen, dass ich all das Erlebte so leichtfertig entsorgt habe.
Viele Urlaubs-, Reiseschnipsel und auch Schwärmereien, versiegelt mit einem kleinen goldenen Schloss, würden mir auf die Sprünge helfen, wenn ich im Kopf nach vergangenen Ereignissen krame.
Es waren fünf Wälzer, die ich fein säuberlich zerschnipselt dem Feuer übergeben habe. Keine großartigen Abhandlungen waren es, keine schriftstellerischen Meisterwerke, auch keine Aufzeichnungen über das tägliche Wohl- oder Missempfinden, wie Thomas Mann es vorgeführt hat (meist war er müde, träge, unlustig, hatte “tiefen Nervenstand”, Bauchgrimmen oder Rektalreizung), aber doch jeder Eintrag für sich damals mit Herzblut geschrieben, gemalt, gezeichnet, mit kleinen Collagen verschönt.
Die Tagebücher von heute sähen anders aus, aber ich will meine Nachwelt nicht damit belustigen oder verärgern. Und ich weiß, ich würde in Thomas Mann’s Nähe abdriften. ("Getöse im Gekröse")
In meiner mir eigenen Spontanität zerfledderte ich sogar das Poesiealbum mit den teils kuriosen Einträgen; “Gestohl'ne Äpfel bringst du heim, dein Englein muss sehr traurig sein.”
(von der Volksschule, ein eingeklebtes Spruchbildchen).
Äh? Ich kann mich nicht erinnern, einmal Äpfel gestohlen zu haben, und ob ich einen Engel habe, darüber kann man diskutieren. An manche Einträge will man sich gar nicht mehr erinnern, sie waren teils bemüht originell, teils nett gemalt oder nur auf die Schnelle hingekritzelt.
Nur einen, vom KV, hab ich mir eingerahmt (Reitlehrerin und U.d.Z, ich betrachte es oft mit Wehmut und Hoffnung).
Anhang:
Herausgegeben von: Felix Lindner
»Große Abneigung, nachmittags noch irgend etwas zu tun.« Thomas Mann gilt als Vorbild für Disziplin, als fleißiger, unbeirrbarer Arbeiter im täglichen Homeoffice. Seine Tagebücher aber zeigen ein anderes Bild: Zwischen Morgenmüdigkeit und Magenverstimmung muss das selbst geforderte Schreib-Pensum jeden Tag dem eigenen Körper abgerungen werden – mal mit Erfolg, viel öfter ohne. Felix Lindner, bekannt geworden durch seinen Twitter-Account »Thomas Mann Daily«, versammelt in diesem humorvollen Buch 365 Kurzzitate aus den Tagebüchern, die den Alltag des Nobelpreisträgers mit all seinen Krisen und Hindernissen zeigen. Ja, Thomas Mann hatte Menschen, hatte Frauen um sich herum, die ihm die Hausarbeit abnahmen und ihn vor der Unruhe der Außenwelt schützten. Trotzdem war Thomas Mann kein in sich ruhender »Zauberer«, dem die Sätze nur so aus der Feder flossen. Wie wir alle war auch er müde und genervt, von Zweifeln geplagt und immer wieder abgelenkt vom Leben jenseits der Bücher.